Michael Fehrs Spiel mit dem Absurden

2022-04-21 06:39:16 By : Mr. Andy ou

In seinen neuen Prosatexten zeichnet der Schriftsteller eine düstere, immer wieder ins Skurrile abgleitende Welt mit wenigen Lichtblicken.

Die Protagonisten heissen ­Potremtlek Langtang, Pulpo Maastricht, Lavendel Wellington oder schlicht «ein Wanderer» oder «ein einfacher Mann», und was ihnen geschieht, erinnert an das Theater des Absurden eines Ionesco oder die Erlebnisse von «Alice im Wunderland». Da stürzt ein Professor, sich ständig verkleinernd, vom 77. Stock eines Hochhauses in ein Weinglas, lehnt eine Frau einen Heiratsantrag ab, weil sie mit ihrer Katze verlobt ist, übernehmen drei Hunde nach dem Tod des Besitzers dessen Firma.

Die unter dem Titel «Hotel der Zuversicht» publizierten 188 Prosatexte zeugen erneut von der eigenwillig-eigenständigen Erzählweise und der originellen Erfindungsgabe, die schon die Erzählung «Simeliberg» (2014) und die Textsammlung «Glanz und Schatten» (2017) des 1982 in Bern geborenen und am Literaturinstitut in Biel ausgebildeten Michael Fehr kennzeichneten. Sie erweitern das Spektrum aber um eine Skurrilität, die das Ganze in ein surreales Licht taucht.

Nicht anders als «Glanz und Schatten», wo von Ausgebeuteten und Zukurzgekommenen erzählt wird, oder «Simeliberg», wo dem romantischen Liebeslied die dumpfe Welt eines heruntergekommenen Bauernhofes entgegengestellt ist, vermittelt auch die neue Textsammlung keineswegs die im Titel angedeutete Zuversicht. Was aber nicht heissen will, dass mit ihnen eine sozialkritische oder politische Stellungnahme verbunden wäre. Die so seltsam benannten Figuren sind überhaupt nicht real in einen sozialen Zusammenhang eingebettet. Auch werden sie weder emotional noch gefühlsmässig spürbar. Vielmehr agieren und reagieren sie fern jeder psychologischen Glaubwürdigkeit, sind auswechselbar-zufällige Handlungsträger oder Opfer in einem absurden Spiel von merkwürdigen Geschehnissen, Konstellationen und Erfindungen.

So überrascht ein Page den «einfachen Mann» der Titelerzählung, als dieser an einem Hotel vorbeigeht, mit der Mitteilung, es sei für ihn ein Zimmer gebucht und bereits bezahlt. Um es zu beziehen, muss er sich allerdings zu dem Pagen auf einen fliegenden Teppich legen, der sich weit über die Stadt erhebt, um wie ein Raubvogel hinunterzustürzen und den Gast auf einem hellblauen Mosaikboden abzuladen, «der eine solche Zuversicht verströmt, dass er nicht anders kann, als sich dieser hinzugeben». Worauf sich diese Zuversicht bezieht, bleibt ebenso rätselhaft wie die Identität dieses zufällig auf der Strasse aufgegriffenen «einfachen Mannes», von dem wir am Ende nur noch erfahren, dass er eingeschlafen sei.

Die Welt, die in diesen Texten evoziert erscheint, ist negativ dotiert, weil sie voller Tücken und Abgründe ist und es jederzeit geschehen kann, dass etwas ganz und gar Unerwartetes passiert. So beginnt die Erzählung «Es ist der letzte Sommertag dieses Jahres» ganz harmlos mit einem Treffen von Freunden und Bekannten im Garten eines «schwarzgebrannten Hauses im Grünen», bei dem Honigbrote und «goldener Milchkaffee» serviert werden. Bis ein Gast ein Büschel Gras von der Wiese in den Mund nimmt und erklärt: «Mir schmeckt es wahnsinnig gut.» Was eine Orgie auslöst, bei welcher die Anwesenden nicht nur die Rinde vom nahen Baum, sondern auch die Teller und Schüsseln auf dem Tisch und die Kaffeemaschine, die Balken und die Ziegel des Hauses verschlingen, bis die von einem Jäger alarmierte Polizei die Tischgesellschaft totschiesst.

Es läge nahe, die Texte spielerisch-unernst wie Computerspiele zu nehmen oder sie einfach zu abstrakter Wortmusik zu erklären, würden einzelne von ihnen dem nicht doch widersprechen. Jener mit dem Titel «Die Bedrohungslage» etwa, der ein Paar in einem Bunker auf die Invasion der Ausserirdischen warten lässt und sie das Gegenteil von dem erleben lässt, was in den anderen Texten geschieht: nämlich nichts. Glücklich, dass «nichts Schlimmes geschehen ist und stattdessen wieder alles geblieben ist, wie es gewesen war», beschliessen sie, aus dem Bunker ins Licht getreten, «von nun an ein grosszügiges und grossspuriges und überschwängliches und überwältigendes Leben in Angriff zu nehmen.»

Michael Fehr: Hotel der Zuversicht. Der gesunde Menschenversand, 190 S.