»Der Teppich ist für mich ein Medium« - Falstaff LIVING

2022-10-08 21:20:50 By : Mr. Yukun Bai

Glühende Meteoriten, reflektierendes Wasser, blumige Fantasiewelten – Jan Kaths Teppichkreationen erzählen Geschichten, die bewegen. Neuerdings auch vom Krieg, in seiner von der Pop-Art inspirierten Kollektion »Rug Bombs« in Szene gesetzt. In der Wiener Hofburg geht es zum Design District ab 6. Oktober in seiner Ausstellung aber harmonisch zu. Das LIVING-Interview über Vergangenheitsbewältigung, barocke Entwürfe und geklautes Design.

04 . Oktober 2022 - By Angelika Rosam

Drei Jahre ist es her, da Teppichkreateur Jan Kath das letzte Mal beim Design District in der Wiener Hofburg einem fachkundigen Publikum seine Knüpfkunst zur Schau stellte. Das war noch vor der Pandemie und freilich vor unser aller Sorgenkind, dem Ukraine-Russland-Konflikt. Seitdem hat sich, Corona zum Trotz, so einiges nachhaltig Positives im Kath’schen Teppich-Imperium getan: neue Projekte, keine Entlassungen in der Krise, das Unternehmen ist ob einer stabil funktionierenden Infra­struktur und eines starken Teams weiterhin auf Erfolgskurs.

Zum Design District 2022 ist der 50-Jährige nun wieder nach Wien gereist. Mit neuen Kollektionen bespielt er unter persönlicher Präsenz den Wintergarten in der Hofburg und demonstriert ein weiteres Mal seinen extravaganten Zugang zum Teppichdesign. Da ist »Spectrum« zum Beispiel, Teppiche, die mit ihren Strukturen und Farbwinkeln an glühende Meteoritenkerne oder reflektierendes Wasser erinnern und doch völlig abstrakt bleiben. In der Tat fühlt man sich hier sogar ein wenig in eine anthroposophische Malerei gebeamt. Mit der Romantik-Serie »Savonnerie Surprise« darf wiederum geträumt werden – die Hommage an die historischen »Savonnerie«-Pretiosen, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Frankreich hergestellt wurden, präsentiert französisches Gefühlsleben pur. Was wir in den letzten Jahren gelernt haben: Kath ist vielseitig und Kath ist immer für Überraschungen gut. Denn Teppiche sind seine Leinwand, Wolle seine Farbe, sagt er. Und in vielerlei Hinsicht sind Teppiche ein Spiegel ihrer Zeit. Sie reflektieren jene Situationen und Realitäten, mit denen Menschen über Jahre konfrontiert werden, und demons­trieren oft ernüchternde Resultate. Und als hätte Kath den Krieg in der Ukraine voraus­gesehen, lernen wir den Sohn eines Teppichhändlers aus Bochum von einer Seite kennen, die uns bis dato nicht möglich erschien. Der Mann, der mit seinen Teppichen sonst die blumige Fantasie und Harmonie in uns regte, wird plötzlich auch ernst. Nach längerer Entwicklung im Sommer am Rande der ­documenta in Kassel vorgestellt, werden wir mit der neuen »Rug Bombs«-Kollektion mit Teppichen konfrontiert, die im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Bombe eingeschlagen haben. Mit den Themen Gewalt und kriege­rische Konflikte in den vergangenen Jahr­zehnten will man provozieren: auf den Einzelstücken prangen Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Drohnen, fliehende Menschen – Kriegsszenen, die ein schonungsloses Bild der aktuellen Situation auf der Welt zeigen.

Warten auf den Krieg Der Bildband »Armed America« des Fotografen Kyle Cassidy enthält diese Aufnahme, die Jan Kath in einen Teppich verwandelt hat.

»Erstmals trete ich nicht als Dekorateur, ­sondern als Künstler auf«, so Kath über die von der Pop-Art beeinflussten »Rug Bombs«. Diese neue Kollektion soll derzeit nicht im Verkauf erhältlich sein, sondern ausschließlich in mehreren Ausstellungen gezeigt werden. Nach Kassel ist ab 22. Oktober die Art Biennale in Bangkok nächster Schauplatz der extremen Teppichkunst In der Wiener ­Hofburg hat man aber die Gelegenheit, die sanftere Seite Kaths zu ­inspizieren, und vielleicht auch Lust, das eine oder andere Unikat gleich mit nach Hause zu nehmen …

LIVING bat den Designer und Künstler zum interessanten Talk über aktuelle Geschehnisse, Krisenbewältigung und ­darüber, warum Teppiche therapeutische Wirkung besitzen.

LIVING Unser letztes Interview war 2019. Damals waren Sie mitten drinnen, mit Ihren neuen Kollektionen das verstaubte Image des Teppichs hochzupolieren. Was hat sich seitdem verändert?

Jan Kath Ich bin meinem Konzept treu geblieben und versuche stetig, die Grenzen weiter zu verschieben und Sehgewohnheiten zu verändern. Über die Jahre sind einige Kollektionen hinzugekommen. Jetzt, in der Hofburg zeigen wie die »Savonnerie Surprise«-­Teppiche, die ihren Ursprung in der Zeit kurz vor der Französischen Revolution, also im Barock haben. Natürlich bleiben wir auch hier unserem Konzept treu: Die alten Designs kommen in einem hochmodernen und ­zukunftsweisend neuen Kleid daher.

Aber wir erleben Jan Kath erstmals auch ernst: Die Motive in Ihrer neuen Kollektion »Rug Bombs«, die nicht für den Verkauf, sondern nur für Ausstellungen gedacht ist, spiegeln die derzeit tragische Kriegssituation auf der Welt wider …

Die Gründe, warum ich mich mit den Themen Krieg und Gewalt beschäftige, liegen Jahre ­zurück und haben die Wurzeln in meiner Kindheit. Der Auslöser war nicht der Konflikt in der Ukraine –Hellseher bin ich freilich keiner und die Entwicklung einer neuen Teppichkollektion dauert über viele Monate an –, sondern der Krieg im Irak und seine Folgen. Abu Ghraib und Guantánamo haben mich extrem beschäftigt und etwas in mir verändert. Ebenso der schmutzige Krieg in Syrien und die daraus ­resultierende Flüchtlingsbewegung haben tief liegende Erinnerungen geweckt.

Wie dürfen wir das verstehen?

Ich bin ein 1972er-Jahrgang. Zwar habe ich den Zweiten Weltkrieg nicht miterlebt, aber das Thema war bei uns immer präsent. Ich hatte eine starke Beziehung zu meinem Großvater mütterlicherseits, der als Wehrmachtssoldat in Polen, Frankreich und Russland kämpfte. Er hat mir viele Geschichten darüber erzählt, von den Ereignissen in den Schützengräben und von den Kämpfen kurz vor Stalingrad …

Spiegel der Zeit »Big Mouse« von Kath ist ein innovativer Teppich mit einem Kopf im Stil von Mickey Mouse auf den Schultern eines bewaffneten Soldaten.

Fair Trade Jan Kath steht für faire Arbeitsbedingungen. Er arbeitet prinzipiell nur mit natürlichen Materialien – mit reiner Seide und Wolle.

Sicher keine einfachen Themen für ein Kind. Ebenso sind die Geschehnisse in den letzten drei Jahren für uns alle zu einer großen Herausforderung geworden. Wie haben Sie die schwierige Zeit der Pandemie erlebt? Mussten Sie sich in der ­Produktion anpassen?

Die Pandemie war eine große Zäsur – global, aber natürlich auch lokal, an jedem unserer Produktionsorte. Insgesamt sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Das hat auch damit zu tun, dass wir eine starke und gut funktionierende Infrastruktur aufgebaut haben, auf die wir uns immer verlassen konnten. Die Tat­sache, dass wir niemanden entlassen haben, hat uns in den Produktionsländern viel Standing eingebracht und zahlt sich heute doppelt für uns aus. Kurz zur Erklärung: Unsere Designs sind extrem kompliziert. Deshalb suchen wir immer die besten Knüpferinnen und Knüpfer – und die können sich die Arbeitgeber aussuchen.

Nachhaltigkeit ist im Interior-Design nicht nur Trend, sondern auch zur Notwendigkeit geworden. Was hat sich in Ihrer Produktion zu diesem Thema noch vorteilhaft verändert?

Wir nehmen diese Bewegung weiterhin sehr ernst und legen allergrößten Wert auf gute und faire Arbeitsbedingungen, verwenden so viele Naturmaterialien wie möglich. Allerdings ist es uns wichtig, kein Greenwashing zu betreiben. Es gibt auch bei uns insgesamt noch Luft nach oben. Vor allem im Zusammenhang mit der Fracht. Wir haben Wege gesucht, unsere Teppiche  zunächst über Land und später auf dem Seeweg nach Europa und in die USA zu bringen. Die gibt es durchaus. Allerdings verzögert das den Liefertermin – und so viel Geduld haben viele Kund:innen leider (noch) nicht.

Ihre Handwerker:innen müssen indes Geduld haben. Neue Kollektionen beanspruchen, wie Sie uns erzählten, jede Menge Zeit. Gibt es hier neue Techniken, die das Knüpfen vereinfachen?

Ich bin in vielleicht vielerlei Hinsicht hoch­modern und progressiv … aber wenn es ums Handwerk geht, da bin ich kompromisslos ­konservativ.

Wie geht es im Fashion-Business voran? Sie wollten Ihr Know-how in der Modewelt vertiefen …

Wir haben unsere Aktivität im Bereich der Haute Couture stark ausgebaut und entwickeln zusammen mit den größten und erfolgreichsten französischen Modelabels Teppiche für deren exklusive Showrooms.

Und die Fashionwelt gibt natürlich auch Trends vor. Gibt es im Teppichdesign eine Farbe, die 2023 ein Must-have ist?

Bei dieser Frage tue ich mich schwer … schließlich begleitetet ein Teppich uns ja hoffentlich erheblich länger als nur eine Saison und sollte deshalb nicht so sehr der Mode unterworfen sein! Meine persönlichen aktuellen Teppich­favoriten sind in einem wasserfarbenen Grün-blauton geknüpft. Im Handknüpfbereich versuchen wir, der rechteckigen Form treu zu blieben, weil diese eng mit der traditionellen Herstellungsart verbunden ist. Im schnell­lebigeren Haute-Couture Business ist es in der Tat so, dass eine Vielzahl von organischen »Odd Shapes« eine große Rolle spielt.

Hauptsache ist, dass Sie nie aufhören werden, mit Ihren Teppichen Geschichten zu erzählen …

Natürlich! Jede Kollektion hat eine eigene, oft sehr persönliche Geschichte und ist Teil eines eigenen kleinen Universums. Der Teppich ist für mich ein Medium. Während der Schriftsteller Feder und Tinte benutzt, der Maler Pinsel und Farbe, so berichte ich von meinen Erlebnissen in Wolle und Seide.

Französisches Savoir-vivre Die »Savonnerie Surprise« Kollektion präsentiert Teppiche, die ihren Ursprung kurz vor der Zeit der Französischen Revolution haben.

Sie sagten einmal: Ihre Teppiche sind »Inseln zum Wohlfühlen und wirken heilsam«. Was meinen Sie damit genau? Können Teppiche therapeutisch wirken?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich Ihnen von einer Erfahrung berichten, die ich vor gut 30 Jahren im Iran, in der Nähe von ­Schiras, machen durfte: Ich war zu Gast bei einer wohl angesehenen Familie und ich wurde durch ihr wunderschönes Haus geführt. Am Ende des Rundgangs durfte ich auch das private Lesezimmer des Gastgebers sehen. In diesem Raum war nichts als ein Sitzkissen, ein Lese­ständer für das aktuelle Buch, das er las, und ein großer Teppich. Diese ganz besondere Atmosphäre hat sich bei mir eingebrannt und steht bei mir heute noch als Sinnbild für Ruhe, ­Mediation und Konzentration. Für mich war dieser Ort der perfekte private Raum.

Wo in einem Raum sollte Ihrer Meinung nach ein Teppich immer liegen? Gibt es hier Stilregeln, die zu beachten sind?

Ich stelle eigentlich keine Regeln auf. Persönlich bin ich aber eher ein Freund der Symmetrie.

Und was ist ein absolutes No-Go?

Geklautes Design. Das begegnet mir, nicht nur im Teppichdesign, immer wieder und macht mich einfach nur sprachlos.

Sie waren stets ein Dauerreisender – New York, Nepal, Thailand, die Türkei und dann wieder Bochum. Hat Sie der Umstand der Pandemie etwas zur Ruhe kommen lassen?

Mittlerweile hat sich mein Lebensmittelpunkt verschoben. Meine Frau Nairat und ich wohnen in Chiang Mai, im Norden Thailands, Bochum ist jetzt unser Zweitwohnsitz geworden. Dennoch bin ich nach wie vor auf der ganzen Welt unterwegs, besonders freue ich mich, wieder in Wien in der Hofburg zu sein.

Was uns besonders interessiert: Haben Sie zu Hause noch immer keinen Teppich liegen?

Das stimmt nicht ganz. Ich hatte natürlich immer Teppiche in meiner Wohnung, ich könnte ohne gar nicht leben. Aber die Ent­­würfe waren nie von mir selber, sondern von befreundeten Designern. In unserem neuen Haus werden aber einige unserer Teppiche liegen. Das hat sich meine Frau so gewünscht.

Explosive Kreationen Jan Kath erweckt den Kriegsteppich in seiner ersten von der Pop-Art beeinflussten Kollektion »Rug Bombs« mit klassischen persischen Teppichmotiven zum Leben. jan-kath.de

Die Magie der Nordlichter Die Farben des Polarlichts dienen der Kollektion »Spectrum« als Inspiration.

Ali Rahimi besitzt mit seinem gleichnamigen Teppichunternehmen die Generalvertretung für Jan Kath in Österreich. Die beiden Unternehmer verbindet eine 20-jährige Freundschaft. Wir baten Rahimi zum Gespräch.

LIVING Wie haben Sie Jan Kath kennengelernt und wie ergab sich diese konstruktive Partnerschaft? Ali Rahimi Rahimi ist für Teppiche mit klassischem Design bekannt, aber die Nachfrage nach modernen Unikaten -wurde immer größer, und so wussten wir, dass wir uns im Contemporary-Bereich weiterentwickeln müssen. Durch einen Freund wurde ich auf Jan Kath aufmerksam und wir haben uns schließlich getroffen – das ist mittlerweile rund zwanzig Jahre her. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und sofort erkannt, dass wir in der Lage sind, mit unseren Unternehmen eine gegenseitige Symbiose einzugehen, und Ideen entwickeln können, wie wir uns bestmöglich unterstützen.

Als Experte wissen Sie: Was macht die Kath-Teppiche so besonders? Seit Jahrzehnten hat man den Teppich wenig verändert, es waren immer dieselben Muster. Jan Kath hat es geschafft, mit klassischen Motiven zu arbeiten, -diese aber völlig neu zu interpretieren. Er erzählt mit seinen Kreationen Geschichten, lässt der Fantasie freien Lauf. Er spielt mit dem Material und verarbeitet nur reine Wolle und Seide, seine Teppiche sind »kunstfaserfrei«. Mit seiner eigens entwickelten »Brandtechnik« (die Seide verbrennt langsamer als die Wolle, so bleibt die Seide an der Oberfläche bestehen und es entsteht ein 3D-Effekt, der die Vintage-Optik ermöglicht) wird er als Vorreiter dieser einzigartigen Entwicklung gesehen.

Was sind die Trends für 2023? Generell wird Fair Trade immer mehr zum Thema. Die Menschen legen beim Teppichkauf besonderen Wert auf Naturprodukte. Ebenso verlieren die Grautöne bei Teppichen, die über eine lange Zeit hinweg sehr gefragt waren, ein wenig an Bedeutung. Gefragt sind mutige Kreationen, starke Farben und altherkömmliches Verspieltes, aber neu interpretiert. Interessant ist auch seit der Energiekrise zu beobachten, dass nun viele Teppiche gekauft werden, um beispielsweise Fliesenböden wohnlicher zu gestalten. Das Zuhause soll mehr denn je ein gemütlicher Rückzugsort sein, und Teppiche spielen dabei eine große Rolle.

Gleiche Interessen V. l.: Jan Kath, LIVING-HG. A. Rosam und Ali Rahimi – bereits mehrmals lud man gemeinsam zu stimmigen Teppich-Events.

Genuss – das ist zentrales Thema der Falstaff-Magazine. Nun stellen wir das perfekte Surrounding dafür in den Mittelpunkt. Das Ambiente beeinflusst unsere Sinneseindrücke – darum präsentiert Falstaff LIVING Wohnkultur und Immobilien für Genießer!

Wiesingerstraße 6/8 A - 1010 Wien