Abtritt eines Entertainers · ballesterer

2022-05-21 19:10:20 By : Mr. Max Liu

Mehrdad Minavand wurde mit dem SK Sturm Meister, erlebte große Auftritte in der Champions League und war ein Symbol für die Öffnung des Iran. Ende Jänner ist der Spieler mit den weißen Schuhen an einer COVID-19-Erkrankung verstorben.

1998 war der Iran ein anderes Land als heute. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Politisch verkörperte das Staatspräsident Mohammad Chatami, der ein Jahr zuvor als Reformer gewählt worden war. Er sprach vom Dialog der Zivilisationen, zitierte in Interviews mit ausländischen Medien Hegel, Sartre und Tocqueville, in einem Kommentar in der FAZ kritisierte er das nutzlose Beharren auf überkommenen Traditionen.

Auch im Fußball tat sich nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit etwas. Mit Chodadad Azizi, Karim Bagheri und Ali Daei hatten 1997 drei Spieler den Sprung in die deutsche Bundesliga geschafft. Im November dieses Jahres sahen 128.000 Zuschauer im Azadi-Stadion von Teheran Azizis Tor zum 1:1 gegen Australien. Es war das Relegationshinspiel um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Frankreich. Als Bagheri und Azizi eine Woche später in Melbourne in der Schlussviertelstunde einen 0:2-Rückstand egalisierten, gab es kein Halten mehr. Das Team nahm erstmals seit 1978 wieder an einer WM teil.

Ein Spieler, der beim FC Persepolis, dem Meister der Jahre 1996 und 1997, schon eine feste Größe war, saß gegen Australien auf der Bank. Doch in den Freundschaftsspielen vor der WM gab der damals 23-Jährige eine Empfehlung ab. Er spielte auf der linken Seite, einer Problemzone des Teams, und wirkte ein wenig eigen. Er trug weiße Schuhe, was ihn elegant aussehen ließ, war für einen Flügelspieler aber eher langsam. Dafür rannte er wie ein Verrückter das ganze Spiel hindurch und ging in jeden Zweikampf. Bei der WM kam dieser Spieler in den Partien gegen Jugoslawien, die USA und Deutschland jeweils 90 Minuten zum Einsatz. Sein Name war Mehrdad Minavand.

Minavand wuchs im Süden Teherans auf. Wie die meisten iranischen Fußballer lernte er das Kicken auf den Straßen. Dort, wo man sich zwei Plastikbälle an einem Kiosk kauft, einen aufschneidet und um den anderen wickelt, damit der Ball länger hält. Auch der LASK und der Karlsruher SC zeigten Interesse an Minavand, doch noch bevor das WM-Finale gespielt war, ließ Sportdirektor Heinz Schilcher ihn einen Dreijahresvertrag mit dem SK Sturm unterzeichnen. Ivica Osim hatte den Spieler zuvor in Frankreich beobachtet. „Schnell, jung, fügt sich sehr gut ein“, sagte der Trainer der Kronen Zeitung vor der Verpflichtung. „Spielt er so wie bei der WM, ist er sehr interessant.“ Die Wertschätzung war gegenseitig. Irans Ex-Teamchef Tomislav Ivic habe dauernd von Osim geschwärmt, erzählte Minavand. „Daher war Sturm für mich an vorderer Stelle.“ Umgerechnet etwas mehr als eine Million Euro kostete der Neuzugang, er war damals einer der teuersten Transfers der Vereinsgeschichte.

Auf europäischer Bühne

Mit Sturm wurde Minavand im ersten Jahr Meister und Cupsieger. Doch wirklich durchsetzen konnte er sich in der Bundesliga nicht, eine Stammkraft war er in Graz immer nur für kurze Zeit. Seine Glanzmomente kamen in der Champions League. „Wer zuvor in seiner Heimat regelmäßig vor mehr als 100.000 Besuchern spielte, dem konnte schließlich die größte europäische Bühne nichts anhaben“, schreibt das Fanportal Sturmnetz über ihn. Als Sturm mit einem 2:2 in Istanbul gegen Galatasaray im September 2000 den Aufstieg in die Zwischenrunde der Champions League schaffte, rannte Minavand bis zu seiner Auswechslung in der 87. Minute durch. Beim 3:0-Sieg gegen Hapoel Tel Aviv einige Monate zuvor war er der erste Iraner, der seit der Islamischen Revolution 1978 gegen ein israelisches Team antrat – ohne politische Sanktionen. „Ich konnte mein Team nicht im Stich lassen“, sagte er danach. Noch heute ist er der iranische Spieler mit den meisten Einsätzen in der Champions League.

Die Spiele in der Champions League waren auch jene, die im Iran zu sehen waren. Dort war Minavand einer der Stars, sein Ansehen war enorm. Und in der iranischen Community Österreichs kursierten Geschichten darüber, wie bodenständig und sympathisch er war: So wurde berichtet, dass er am Flughafen älteren Frauen beim Tragen ihrer Koffer half und in der Schlange beim Anstehen Familien Vorrang gab. Präsident Hannes Kartnig beeindruckte das alles wenig, er bemühte stattdessen rassistische Stereotype. Nach einem Spiel, bei dem ihm die Leistung Minavands missfiel, sagte er anwesenden Reportern: „Nimm dir nie einen Perser, außer einen Teppich.“ Den auslaufenden Vertrag verlängerte Sturm nicht. Minavand ging zunächst zu Charleroi in Belgien, dann zurück zu Persepolis. Mit 31 Jahren beendete er seine Karriere.

Minavand spielte in TV-Sketchen mit und war ständig am Bildschirm präsent. Er war damit erfolgreich – und extrem beliebt.

Aber Minavand war nie nur Fußballer, er war auch Entertainer. Davon hatte man in Österreich erfahren, als er am Rotterdamer Flughafen ein Geburtstagslied für Jubilar Hannes Reinmayr anstimmte und auf den Tischen tanzte. Das Hobby machte er später zum Beruf. Er nahm Lieder für das Nationalteam auf, als 2006 und 2014 wieder die Qualifikation zur WM gelang. Und zog die Kritik von Fundamentalisten auf sich, weil in den Videos unverschleierte Frauen auftraten. Musiker blieb er bis zum Schluss, immer wieder veröffentlichte er Songs. Außerdem spielte er in TV-Sketchen mit und war ständig am Bildschirm präsent. Er war damit erfolgreich – und extrem beliebt. Über 1,5 Millionen Follower hatte er zuletzt auf Instagram, Videos mit Minavand werden auf Youtube zehntausendfach geklickt. Auch nach dem Coronaausbruch war Minavand weiter im Fernsehen zu sehen. Umso tragischer ist es, dass er sich wahrscheinlich bei einem dieser Auftritte angesteckt hat. Am 27. Jänner starb er, eine Woche nach der Einlieferung ins Spital.

Als Persepolis drei Tage später das nächste Match absolvierte, waren alle Dressen mit dem gleichen Namen beflockt: Minavand. Als Vahid Amiri zum 1:0 für Persepolis traf, symbolisierten er und seine Kollegen mit ihren Fingern die Zahl 25, Minavands Rückennummer. Tausende Iraner nahmen seinen Tod im Alter von nur 45 Jahren zum Anlass, um in sozialen Medien die Regierung aufzurufen, sich endlich um die Beschaffung eines Impfstoffs zu kümmern. Der Hashtag „BuyVaccines“ trendete, die Kampagne erhielt weiteren Zulauf, als mit Ali Ansarian ein weiterer Ex-Fußballer nur wenige Tage nach Minavand starb. Anfang Februar kündigte Außenminister Mohammad Javad Zarif an, den Impfstoff Sputnik V zu kaufen.

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