Wie die Teppichindustrie versucht, einen grünen Mantel anzuziehen

2021-12-07 00:39:33 By : Ms. Dilys Liu

Alte Teppiche werden in der Regel in Deutschland verbrannt. Einige Teppichhersteller prahlen inzwischen mit Nachhaltigkeitskonzepten und erwecken den Eindruck, sie recyceln alte Teppiche. Allerdings werden laut CORRECTIV-Recherche weniger als fünf Prozent der Teppiche tatsächlich recycelt, und die Deutsche Umwelthilfe kritisiert Recycling-Werbung als „Greenwashing“. Dennoch unterstützt die EU Hersteller mit Millionenbeträgen.

von Benedict Wermter, Delphine Reuter

In dieser Renova-Anlage werden auch alte Teppiche verbrannt. © Will Rose

Das niederländische Unternehmen Desso und das amerikanische Unternehmen Interface sind Marktführer unter den Teppichherstellern in Europa. Jeder zweite verlegte Teppich wird in den Werken eines der beiden Unternehmen hergestellt. Sie sind auch die einzigen Unternehmen der Branche, die mit Nachhaltigkeitsstrategien werben.

Desso will nach eigenem Bekunden gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und erneuerbare Energien nutzen. Vor allem wirbt der Teppichhersteller damit, gebrauchte Teppiche zu recyceln und Schadstoffe zu vermeiden. Desso betreibt in den Niederlanden eine Recyclinganlage. „Unternehmen müssen in der Lage sein, den Materialfluss zu bestimmen, wenn das Produkt nach Gebrauch zurückgegeben wird“, schreibt Desso auf seiner Website.

Desso lobt auch seine Cradle-to-Cradle-Zertifikate. Diese erwarb das Unternehmen von der Hamburger Umweltberatung EPEA dafür, dass einige seiner Produkte auf Umweltschäden und Recyclingfähigkeit geprüft wurden. Einzelne Produkte haben für ihre Schadstoffarmut ein Gold- oder Silberzertifikat erhalten.

Fabrik des Marktführers Desso.

Die Niederländer produzieren Tausende von Quadratmetern Teppich. Aber nur ein Bruchteil davon wird wieder recycelt.

Cradle-to-Cradle bedeutet „von der Wiege zur Wiege“. Nach dieser Philosophie gibt es keinen Abfall, aber Unternehmen und Kunden dürfen „intelligent verschwenden“ – solange Materialflüsse geschlossen sind. Diese Denkweise geht auf den deutschen Chemiker Michael Braungart zurück, der mit Unterstützung seiner Frau, der Ex-Umweltministerin Monika Griefahn, weltweit mehrere Beratungs- und Lizenzfirmen betreibt. „Im Mittelpunkt der Cradle-to-Cradle-Philosophie steht der Gedanke ‚Waste is Food‘. Bei Teppichen hat Desso eine Technologie entwickelt, mit der Teppiche zurückgenommen und deren Materialien recycelt oder wiederverwendet werden können. „So beschreibt Desso selbst seinen Beitrag zur Cradle-to-Cradle-Denkschule.

Mitbewerber Interface verfolgt seit 1994 einen Zero-Waste-Plan namens „Mission Zero“, den das Unternehmen bis 2020 umsetzen will. Kernelemente des Plans sind ähnlich wie bei Desso die Vermeidung von Abfällen, der Einsatz erneuerbarer Energien und die Schließung des Stoffkreislaufs , dh Rücknahme gebrauchter Teppiche, die in unserem eigenen Werk in den Niederlanden in ihre Einzelteile zerlegt werden sollen.

Das grüne Image beider Teppichhersteller zahlt sich offenbar aus. Die Unternehmen gelten nicht nur in Sachen Umweltschutz als Vorreiter der Branche. Sie sind vor allem wirtschaftlich erfolgreich: Desso verkauft europaweit 187 Millionen Quadratmeter pro Jahr, Interface 208 Millionen – beide Hersteller wollen auf Anfrage nicht verraten, wie viel davon sie in Deutschland verkaufen. Zum Vergleich: Laut Branchenverband produzieren die größten deutschen Unternehmen wie Vorwerk rund 2,5 Millionen Quadratmeter.

Aber: Wie die CORRECTIV-Recherche zeigt, nehmen die Marktführer ihre Teppiche tatsächlich nur in geringen Mengen zurück. Im Jahr 2015 sammelte Interface in Europa gerade einmal 900 Tonnen – das entspricht 1,5 Prozent der im selben Jahr verkauften Menge. Von einem Zero-Waste-Plan kann keine Rede sein. Im selben Jahr habe Desso in Europa 1.342 Tonnen zurückgenommen, teilte das Unternehmen nach zähem Hin und Her mit. Das entspricht nur 3 Prozent der verkauften Menge. 

Interface antwortet nur vage und sagt: „Trotz der oft komplexen und technischen Herausforderungen setzen wir uns für nachhaltigeres Wirtschaften ein.“ Mitbewerber Desso gibt die Verantwortung an seine Kunden ab und schreibt: „Desso handelt aktiv für die Verbesserung der Marktbedingungen und ermutigt seine Kunden zu einem Recyclingverhalten. "

Eine Studie der Deutschen Umwelthilfe hat ergeben, dass im vergangenen Jahr in Deutschland insgesamt rund 180 Millionen Quadratmeter verkauft wurden und der Branchenumsatz 12 Milliarden Euro beträgt. Damit ist Deutschland für Teppichhersteller der größte Absatzmarkt in Europa. Etwa die Hälfte der Teppiche wird an Privathaushalte verkauft, 40 Prozent werden in Gewerbeflächen verlegt, der Rest landet auf Schiffen, Messen oder in Flugzeugen. Ausgerollt und verlegt sind diese Kunststoff-Compounds bis zu zehn Jahre verwendbar; je nachdem, wie stark sie genutzt werden und ob sich zwischenzeitlich Stilrichtungen ändern oder Räume anders genutzt werden.

Desso trennt in seiner Fabrik „Refinity“ in den Niederlanden Teppichfasern von anderen Schichten. Der Hersteller schickt die gebrauchten Fasern an die Aquafil-Fabriken in Italien oder Slowenien, nur dort wird Nylon aus dem alten Teppichgarn zurückgewonnen. Schon auf der Website von Desso fällt auf: Rückenbeschichtungen werden an den Straßenbau verkauft, andere Komponenten werden zur Verbrennung an die Zementindustrie weitergegeben. Sehen geschlossene Kreisläufe nicht anders aus?

Teppichgarn kann recycelt werden. Dafür müssen sich die Hersteller aber auf einheitliche Serienmodelle einigen.

Seit 2010 unterstützt die Europäische Union sogar eine eigene Refinity-Anlage mit Steuergeldern. Desso will bis 2013 mindestens 16.000 Tonnen gebrauchter Teppiche in Europa zurückbringen. Im Gegenzug erhielt das Unternehmen die Hälfte der 1,5 Mio EU. Auf Anfrage von CORRECTIV beim EU-Umweltministerium zeigte sich eine Sprecherin zufrieden mit der Leistung von Desso: Die Anlage laufe gut, sogar die niederländische Königin Beatrix sei schon vorbeigekommen.

Darüber hinaus führte Desso 2012 ein Leasingsystem ein, bei dem das Unternehmen Eigentümer des Teppichs bleibt. Aber auch wenn das Programm noch nicht lange läuft und Desso seinen Kunden beim Abtransport hilft, räumt der Teppichhersteller ein, dass "das Rücknahmesystem noch nicht wirklich wichtig ist".

Das mag auch daran liegen, dass Desso offenbar keinen Plan hat, wie die Teppiche vom Privatmarkt zurückgenommen werden sollen. Denn das Rücknahmesystem betrifft hauptsächlich den Verkauf von Teppichfliesen im gewerblichen Bereich. Wie groß die Umsätze auf dem Privatmarkt sind, will Desso nicht verraten. CORRECTIV hat alle Desso-Händler in Berlin kontaktiert. Das Ergebnis: Keiner der Teppichhändler gab an, vom Rücknahmesystem gehört zu haben.

Geben sich die Marktführer Desso und Interface also gegenseitig grüne Siegel, die die Realität verdunkeln? „Im Vergleich zu anderen Herstellern arbeiten Desso und Interface mehr am Recycling. Aber vieles steckt hier noch in den Kinderschuhen“, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. Bei der Vermarktung der beiden Unternehmen würde dies jedoch nicht auffallen: Die Unternehmen würden den Eindruck erwecken, dass Kreislaufstrukturen vollständig etabliert sind, während Recycling in der Praxis kaum stattfindet. „Die Diskrepanz zwischen Repräsentation und Realität kann als Greenwashing bezeichnet werden“, sagt Fischer.

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Edmund Vankann ist jemand, der sich mit Teppichen auskennt. Er ist der Vorsitzende der Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppiche (GUT), in der 95 Prozent der Hersteller nach eigenen Angaben zusammenbauen. Zudem kritisiert er Cradle to Cradle als unrealistisches Konzept im Zusammenhang mit Recycling: „Das Aufkleben eines Goldzertifikats ist einfach. Bleibt die Frage, wie kann die Rücknahme für alle umgesetzt werden? „Die GUT überlegt, die verschiedenen Produktionsmodelle der Hersteller so zu standardisieren, dass ein branchenübergreifendes Recycling möglich ist. Bisher ohne Ergebnis, und so plädiert Edmund Vankann für das Verbrennen: "Teppiche brennen gut, weil die Rückseitenbeschichtungen viel Kreide enthalten."

Die Firmen Desso und Interface wehren sich gegen den Vorwurf des Greenwashing. Desso schreibt: „Wir denken, dass die Menge von 20.000 Tonnen erreicht werden kann, auch wenn es länger dauert als erwartet. Der Vorwurf des Greenwashings ist völlig falsch und unbegründet im Hinblick auf den Alltag des Unternehmens. „Interface sagt:“ Wir sind stolz auf das Erreichte. "

2016 wurden europaweit 1,6 Millionen Tonnen gebrauchter Teppiche vernichtet. Wie viele Tonnen davon auf Deutschland fallen, ist unklar. Die neuesten Schätzungen gehen auf die Jahrtausendwende zurück, als mit 400.000 Tonnen gerechnet wurde. Da das Vergraben von gebrauchten Teppichen seit 2005 verboten ist, werden seither Teppichreste verbrannt. Benjamin Bongardt, Abfallexperte beim Umweltverband Naturschutzbund, sagt, dass die Müllverbrennung in Zementwerken und Verbrennungsanlagen heute weitgehend eine saubere und sichere Technologie ist. Aber: Bei jeder Müllverbrennung würden wertvolle Ressourcen in der Luft gelöst und Kohlendioxid freigesetzt.

Deutschland wird von Umweltverbänden schon lange als „Europas Müllsauger“ bezeichnet. Denn es gibt hierzulande über 100 Anlagen, die zusammen fast 25 Millionen Tonnen Abfall jährlich verbrennen. Lange Zeit waren die Anlagen nicht voll ausgelastet, im vergangenen Jahr mussten rund eine Million Tonnen Abfall importiert werden. Kritiker sehen dies als Grund für niedrige Verbrennungspreise, die den Anreiz zum Recycling mindern.

Wer verstehen will, warum heute alte Teppiche verbrannt werden, muss einen Blick zurück auf die Jahrtausendwende werfen. 1999 entstand im brandenburgischen Premnitz die größte Teppichrecycling-Fabrik Europas, die Polyamid 2000. Nur fünf Jahre nach dem Start wurde die Polyamid 2000 zerlegt und verkauft. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Müllverbrennungsanlage.

André Karutz ist Chemiker im Ruhestand. Karutz war zuvor bei Polyamid 2000 für den Einkauf gebrauchter Teppiche verantwortlich. Karutz sagt, die Fabrik sei aus zwei Gründen gescheitert. Erstens konnte er nicht genug Teppiche bekommen, die Nylon enthielten. Die Betreiber der Fabrik hatten sich verkalkuliert, in diversen anderen Produkten hatte er vergeblich nach einer Nylonspüle gesucht, schließlich musste er einen Großteil der gebrauchten Teppiche aus den USA importieren. "Das war natürlich völlig unrentabel."

Der zweite Grund für den Ausfall des Systems ist gravierender: André Karutz sagt: „Die Fabrik war einfach nicht in der Lage, die Teppiche zu recyceln.“ Wenn gebrauchte Teppiche zu viel Wasser enthielten, weil sie beispielsweise im Regen gelagert wurden, mussten ganze Ladungen aussortiert werden. Neben Problemen bei der Lagerung gab es auch Probleme bei der Identifizierung der Teppiche und der darin enthaltenen Inhaltsstoffe. Schließlich ließen sich die Teppiche nicht ausreichend in ihre Einzelteile zerlegen. Vor allem die Trennung verschiedener Schichten und Kleber zwischen den Fasern und der Rückseite bereitete den Chemikern Probleme.

Eine Neufassung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verspricht nun neue Hoffnung für das Teppichrecycling: Weil Teppiche so gut brennen, haben sie hohe Heizwerte, die es der Entsorgungswirtschaft erlaubt haben, die ersten Schritte der Abfallhierarchie zu ignorieren und den Müllwagen direkt in die Verbrennungsanlage zu fahren . Diese Brennwertklausel wurde Ende letzten Jahres gestrichen. Ab Sommer 2017 sollen Entsorgungsunternehmen Altteppiche nach den ersten Hierarchiestufen behandeln.

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