Tom Atton Moore: Vom Gucci-Model zum Teppichkünstler - WELT

2022-04-21 06:30:29 By : Mr. RunJinQi CS

T om Atton Moore hat Rückenschmerzen. Schuld ist die Tuftpistole, ein Gerät, das einer Bohrmaschine ähnelt und mit dem er farbige Wollfäden durch ein Leintuch schießt. So entstehen jene Teppichbilder, die ihn jüngst zum Liebling der Londoner Designszene gemacht haben. „Sie ist so schwer, dass ich mir eine Halterung gebaut habe, um sie darin abzulegen“, sagt der Brite, dessen schmaler Körper (Markenzeichen: skeptischer Blick unter Seventies-Paul-Weller-Schopf) bis vor zwei Jahren vor allem dafür bekannt war, dass er Modekollektionen von Gucci über den Laufsteg trug.

Schon damals konzentrierte sich Moore vor allem auf seine Teppiche. Die Fotoshootings, Fittings und Laufstegjobs waren eine willkommene Pause für den geschundenen Rücken und die damals noch nötige Finanzspritze für seine Kunst. Kurz vor der Pandemie beendete er seine Modelkarriere und konzentriert sich seither ganz darauf. „Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe“, sagt der 26-Jährige und lacht.

„Zuerst habe ich sie eher für mich gemacht“, erzählt der Londoner. „Anfangs habe ich auf einem kleinen Handrahmen gewebt, aber der Maßstab ist so winzig, dass man nicht wirklich viel machen kann.“ Er suchte auf YouTube nach traditionellen Techniken und blieb bei den Tuftvideos hängen. „Das hat mich fasziniert. Ich habe mir eine elektrische Tuftpistole besorgt und dann eine mit Druckluftkompressor, die superstark ist.“ Die Teppiche sind bis zu 150 mal 240 Zentimeter groß und entstehen in stundenlanger konzentrierter Kraftarbeit. Erst projiziert Moore das Motiv auf das Leintuch und beginnt dann in vertikalen, eng gesetzten Linien zu „malen“.

Seine Physiotherapeutin mahnt ihn, Pausen einzulegen, aber: „Ich bin jemand, der in einen Flow kommt und nicht aufhört, ich verliere mich in der repetitiven Bewegung, es ist meditativ.“ Dazu hört er entweder dem schnellen Tackern der Pistole zu oder legt sich Popmusik auf die Ohren. „Ich brauche etwas, das mich wach hält oder wo ich mitsingen kann“, erklärt er. Im Moment tuftet er gern zur Musik von Kim Petras, einer deutschen Dancepop-Sängerin.

Das erste Selbstporträt mit Tuftpistole postete er Ende 2018 auf Instagram, in den Monaten darauf Details der fertigen Werke. Zerrissene, wabernde Farbflächen auf Grasgrün, Blutrot oder nachtblauem Untergrund. „Als ich begonnen habe, die Teppiche auf Instagram zu zeigen, hat das alles verändert.“ Der Londoner Designhändler Jermaine Gallacher war einer der ersten, der auf Moores Talent aufmerksam wurde und dessen Kollektion „Dear Magnolia“ Ende 2020 in einer alten Korkfabrik ausstellte. Die mit einer Schafschermaschine getrimmten Wollfäden sitzen dicht aneinander, die Oberfläche ist weich, die Farben sind leuchtend. Dem Textilkünstler ist es egal, ob die Käufer sich die Teppiche auf den Boden legen wollen oder an die Wand hängen. „Aber es ist interessant zu sehen, wie anders die Farben wirken, je nachdem, ob man es auf dem Boden oder an der Wand sieht. An der Wand sind sie oft viel kräftiger“, beobachtet er.

Im Februar zeigte die Galerie BC in Los Angeles Moores Serie „Eden“. Genau wie schon die Kollektion „Hannibals Pond“, die 2021 bei Maximillian William ausgestellt wurde, ließ sich Moore für „Eden“ von einem kleinen künstlich angelegten Teich im Garten seiner Mutter inspirieren. „Ich habe im Lockdown London verlassen und bin für ein Jahr lang mitten ins Nirgendwo aufs Land zu meiner Mutter gegangen“, so Moore. Er beobachtete das Blühen und Verblühen des Magnolienbaums und fotografierte die Reinigung des Gartenteichs. „Ein Mann kam, um den Teich zu säubern. Er ließ das Wasser abfließen und schüttete Reinigungsmittel auf den Boden.“ Über eine Woche lang dokumentierte Moore akribisch die sich verändernden Formen, die die Chemikalie auf dem Boden annahm, bis sie schließlich verschwunden war. „Es war buchstäblich das Einzige, das passiert ist in dieser Zeit!“ Die Bilder schnitt er zu Collagen zusammen, die er auf die Leinwand projizierte.

Moore benutzt ausschließlich Garn, das er aus Restbeständen aufkauft. Oft kombiniert er dunkle, erdige Töne mit Weiß und intensiven Knallfarben. „Als Model habe ich viel mit Gucci-Designer Alessandro Michele zusammengearbeitet. Beim Fitting hat er uns auf antike Teppiche gestellt und auf diesem Untergrund die Outfits kombiniert. Kleidung in mutigen, kräftigen Farben. Und es passte irgendwie. Der Teppich hat die Stimmung gesetzt“, erzählt Moore. „Das hat mich sehr inspiriert.“

Nach dem Landleben und einigen Wochen in Los Angeles richtet er sich gerade seine erste eigene Wohnung ein. In Walthamstow, einem Stadtteil im Nordosten Londons, wo er auch sein erstes Lebensjahr verbrachte. Hier lebte im 19. Jahrhundert William Morris, der Begründer der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Sobald er mit den Renovierungsarbeiten seiner Wohnung fertig ist, hat sich Moore vorgenommen, Morris Geburtshaus zu besuchen, das inzwischen ein Museum ist und der ganze Stolz Walthamstows. Teppiche wird es in Moores neuem Zuhause übrigens auch geben, aber nicht seine eigenen. Er lacht verlegen. „Das fände ich irgendwie komisch.“

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